Erinnerungskultur mit einem Stop-Motion-Workshop
Schüler*innen lernen, sich durch Erklärvideos kreativ auszudrücken – und gleichzeitig ein Stück Geschichte zu bewahren.
Was gerade passiert, bringt Erinnerungen an 1933 zurück.
Lisa Baer
Der Holocaust ist mittlerweile über 80 Jahre her und es gibt nur noch wenige Zeitzeug*innen, die von ihren Erlebnissen im Nationalsozialismus berichten können. Dabei ist eine aktive Erinnerungskultur heute wichtiger denn je, denn während ich diese Zeilen schreibe, sind in ganz Europa rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch.
Der ZWEITZEUGEN e.V. bringt Schüler*innen und Überlebende des Holocausts zusammen, damit deren Erfahrungen an die nächste Generation überliefert werden. Der Verein fragte uns für einen Stop-Motion-Workshop im Rahmen des Projekts NEVER FORGET mit Schüler*innen der Elsa-Brändström-Realschule in Essen an. Die Jugendlichen wollten die Zeitzeugin Lisa Baer in einem animierten Erklärvideo porträtieren. Da mussten wir nicht lange überlegen! Wie cool, wenn man das, was man liebt (Animation) mit dem verbinden kann, was man wichtig findet (Erinnerungskultur).
Am 24. Juni 2024 fand ein online Interview mit Lisa Baer statt, in welchem die Schüler*innen Fragen stellen durften. Sie lebt seit 1940 in den USA und spricht regelmäßig mit Jugendlichen über ihre Erlebnisse. Sie sagt selbst, dass sie dies als ihre Pflicht sieht, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Ihre Erzählungen haben mich sehr berührt. Man kann gar nicht begreifen, woher ein Mensch die Kraft nimmt, so etwas Furchtbares zu überstehen.
Am 27. Juni 2024 fuhr ich in aller Frühe (8 Uhr Unterrichtsstart – daran konnte ich mich schon zu meiner eigenen Schulzeit nicht gewöhnen) nach Essen-Bergerhausen um die zwölf Schüler*innen in einem zweitägigen Workshop darin zu unterstützen, Lisas Geschichte in einem Stop-Motion-Erklärvideo zu erzählen.
Nach einer kurzen Einführung in das Thema Animation im Allgemeinen und der Stop-Motion-Technik im Speziellen stellte ich den Jugendlichen die App vor, mit der wir in den nächsten zwei Tagen das Video aufnehmen würden. Bei einer kurzen Übungsaufgabe mit Knete waren alle sofort Feuer und Flamme. Unglaublich, wie schnell die Schüler*innen das Prinzip begriffen haben und innerhalb kürzester Zeit viele kleine Stop-Motion-Videos mit Knetfiguren entstanden – sogar mit richtig gutem Storytelling!
Spätestens beim ersten Stop-Motion-Experiment mit der Knete waren die Jugendlichen Feuer und Flamme.
Der nächste Teil war schon etwas herausfordernder, denn jetzt ging es ans Storyboarding. Nachdem ich gemeinsam mit den Schüler*innen die Struktur des Videos festgelegt hatte, sammelten wir Inhalte aus dem Interview mit Lisa Baer. In drei Gruppen aufgeteilt, entwickelten die Jugendlichen nun die Storyboards inklusive Bildideen und Voice-over-Text für jeweils einen Teil des Videos. Dann war Tag eins auch schon vorbei.
Die Jugendlichen entwickelten für jede Szene Bildideen, schrieben einen Sprechertext und überlegten, welche Materialien sich am besten für welche Requisiten eigneten.
Am zweiten Tag ging es direkt in die Umsetzung. Ich teilte die Jugendlichen in sechs Kleingruppen auf. Jede Gruppe war für die Umsetzung eines Kapitels zuständig. Jetzt hieß es: basteln! Alle Szenen aus den Storyboards der Schüler*innen mussten nun mit den vorhandenen Materialien in die Realität umgesetzt werden. Ich hatte mich im Vorhinein für drei Materialien entschieden: Bastelpappe in vier Farbtönen, Knete in Schwarz und Weiß und Alufolie. Da die Zeit für die Umsetzung extrem knapp war, haben wir die Materialauswahl vorher eingeschränkt. Das führte außerdem zu einem homogenen Ergebnis – ein wichtiger Faktor bei einem Projekt, bei dem sechs Kapitel zu einem zusammenhängenden Video zusammengefügt werden mussten. Die beiden betreuenden Lehrer*innen bastelten fleißig mit.
Die Materialauswahl ließ den Schüler*innen genügend kreativen Spielraum in der Umsetzung und sorgte gleichzeitig für ein homogenes Gesamtbild im Video.
Als alle Sets und Requisiten erstellt waren, ging es ans Fotografieren. Da sich ein komplett dunkler Raum am besten für die Aufnahmen eignet, sind wir mit unserem Kamera-Aufbau ironischerweise im ehemaligen Bunker der Schule gelandet. Dort bauten wir das Licht auf, improvisierten ein höhenverstellbares iPad-Stativ aus einem Ofenrost und zwei Bücherstapeln und los ging’s! Mit zwei Kamera-Sets konnten nun zwei Gruppen parallel ihre Aufnahmen machen. Zwischendrin schnappte ich mir zwei Schülerinnen und ließ sie im Buch-Lager zwischen den schallschluckenden Büchertürmen den Sprechertext einsprechen. Alle waren mit großem Einsatz und einer rührenden Ernsthaftigkeit dabei. Wir haben bis zur allerletzten Minute gefilmt und sind mit Ach und Krach fertig geworden.
Die Schüler*innen haben das Video in sechs inhaltliche Kapitel unterteilt. Für jedes Kapitel entwickelten sie ein kleines Intro.
Foto Credit: MKW NRW / Marcel Kusch
In der darauffolgenden Woche habe ich in der Postproduktion die einzelnen Clips zu einem kompletten Video zusammengeschnitten und das Voice-over eingefügt. Carsten gab dem Video mit einem schönen Sounddesign den letzten Schliff. Ich persönlich finde das Ergebnis sehr gelungen. Zwei Tage sind verdammt wenig Zeit, um so ein komplexes und sensibles Thema in einer komplett unbekannten Technik umzusetzen. Hut ab an die Schüler*innen!
Ich bin richtig stolz auf die Schüler*innen, die in so kurzer Zeit ein so schönes Video produziert haben.
Das waren zwei sehr intensive und spannende Tage. Es hat mir große Freude gemacht, den Jugendlichen dabei zuzusehen, wie sie aus dem Interview mit Lisa Baer eine Geschichte entwickelten und diese in bewegte Bilder umsetzten. Die kreative Auseinandersetzung mit diesem ernsten und wichtigen Thema hat hoffentlich dazu beigetragen, dass sich die Schüler*innen in Lisas bewegende Geschichte einfühlen und ihre Erfahrungen verarbeiten konnten. Ich freue mich sehr, Teil dieses tollen und wichtigen Projekts gewesen zu sein!
Foto Credit: MKW NRW / Marcel Kusch
Am 25. September 2024 fand in der alten Synagoge in Essen die Abschlussveranstaltung des Never Forget Projekts statt, auf der die Ergebnisse aller Projekt-Teilnehmer*innen gezeigt wurden. Die Projektpartner*innen, Zeitzeug*innen und teilnehmenden Schulen aus den USA waren per Videokonferenz dazu geschaltet.
Die WDR-Lokalzeit veröffentlichte wenig später einen sehr schönen Beitrag zu dem Projekt.
ardmediathek.de (ab Minute 10:55)